Frühmorgens E. Geibel
Ich weiß nicht, säuselt’ in den Bäumen,
Des Frühlings Zauberlied zu Nacht?
Aus unerklärlich holden Träumen
Bin früh und frisch ich heut erwacht.
Der Morgen weht mit goldner Schwinge,
Mir um die Stirn den kühlen Schein;
Noch möcht’ ich rasten, doch ich singe,
Mein Herz ist wie der Himmel rein.
In süßen Schauern rührt sich wieder,
Was je geblüht in meiner Brust,
Und alte Liebe, neue Lieder
Empfind’ ich in vereinter Lust,
So wie der Schwan, der seinen Bogen
Auf blauem Wasser kreisend zieht,
Zugleich im Spiegelglanz der Wogen
Den Himmel mit den Sternen sieht.
Nun die Schatten dunkeln E. Geibel
Nun die Schatten dunkeln,
Stern an Stern erwacht:
Welch ein Hauch der Sehnsucht
Flutet durch die Nacht!
Durch das Meer der Träume
Steuert ohne Ruh’,
Steuert meine Seele
Deiner Seele zu.
Die sich dir ergeben,
Nimm sie ganz dahin!
Ach, du weißt, daß nimmer
Ich mein eigen bin.
Neue Liebe E. Geibel
Hinaus ins Weite!
Frühling kommt bald.
Durch Schneegebreite
Zum Fichtenwald!
An stürzenden Bächen
Schwindelnde Bahn,
Durch sausende Wipfel
Zum Fels, zum Gipfel
Hinauf, hinan!
Sauge, durstiger Wind, nur, sauge
Mir die stürzende Träne vom Auge,
Leg’ an die brennende Stirne dich an!
Ach, nach dem Trauern,
Dem dumpfen Schmerz
Wie löst dies Schauern
Selig mein Herz!
O rastlos Drängen,
Willst du gewaltsam
Die Brust zersprengen?
Ich kenne dich —
Liebe, Liebe, du kommst unaufhaltsam
Noch einmal, Herrliche, über mich!
Clärchens Lied J.W. v Goethe
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein;
Hangen
Und bangen
In schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend
Zum Tode betrübt;
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Freisinn J.W.v Goethe
Laßt mich nur auf meinem Sattel gelten!
Bleibt in euren Hütten, euren Zelten!
Und ich reite froh in alle Ferne,
Über meiner Mütze nur die Sterne.
Er hat euch die Gestirne gesetzt
Als Leiter zu Land und See;
Damit ihr euch daran ergötzt,
Stets blickend in die Höh.
Tragödie /Entflieh mit mir! H.Heine
I.
Entflieh mit mir und sei mein Weib,
Und ruh’ an meinem Herzen aus;
Fern in der Fremde sei mein Herz
Dein Vaterland und Vaterhaus.
Gehst du nicht mit, so sterb ich hier
Und du bist einsam und allein;
Und bleibst du auch im Vaterhaus,
Wirst doch wie in der Fremde sein.
II.
Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht,
Es fiel auf die zarten Blaublümelein:
Sie sind verwelket, verdorret.
Ein Jüngling hatte ein Mädchen lieb;
Sie flohen heimlich [von]3 Hause fort,
Es wußt’ weder Vater noch Mutter.
Sie sind gewandert hin und her,
Sie haben gehabt weder Glück noch Stern,
Sie sind verdorben, gestorben.
III.
Auf ihrem Grab, da steht eine Linde,
Drin pfeifen die Vögel und Abendwinde,
Und drunter sitzt, auf dem grünen Platz,
Der Müllersknecht mit seinem Schatz.
Die Winde, die wehen so lind und so schaurig,
Die Vögel, die singen so süß und so traurig:
Die schwatzenden Buhlen, die werden stumm,
Sie weinen und wissen selbst nicht warum